Gute Noten für alle – Gitarrenunterricht mit türkischer Lebensfreude
Dass das kleine, von Metropolen umzingelte Gladbeck mittlerweile eine echte Kulturstadt geworden ist, hat sich bereits weit herumgesprochen. Am vergangenen Samstag wurde der nächste erhebende Baustein hinzugefügt: Eine Musikschule für die türkische Laute Saz.
Dass Gitarre nicht gleich Gitarre ist, weiß man spätestens dann, wenn man sich einen Überblick über die vielen verschiedenen Arten dieses Instruments verschafft. Schon allein die Varianten im westlichen Kulturkreis sind kaum aufzählbar: Konzertgitarre, E-Gitarre, Jazzgitarre, Bassgitarre ... Doch das Zupfinstrument ist nicht nur im Westen anzutreffen, sondern überall auf der Welt. Im südöstlichen Teil schwört man auf die so genannte Bağlama. Dieses Musikgerät ist etwa in der Türkei, in Afghanistan, dem Iran oder in Aserbaidschan ausgesprochen beliebt und das am meisten gespielte traditionelle Begleitinstrument der dortigen Volksliedsänger.
Aufgrund großer Unterschiede in Bezug auf Bauweise und Saitenbeschaffenheit sind bei der türkischen Gitarre im Vergleich mit ihrem westlichen Pendant völlig andere Klangwelten erlebbar. Die Saz ist quasi eine Unterart der Bağlama.
Geht es nach der Gästezahl bei der Eröffnung des Fachhandelsgeschäfts "Porte Saz Evi", das auch einer Musikschule Platz bietet, wird die Unternehmung ein Renner. Der von Familie Varol geführte Laden auf der Friedenstraße 59 war proppevoll, als bei typischen türkischen Snacks und Getränken Einweihung gefeiert wurde.
Ein bisschen Orient, ein bisschen Türkei in die Musik reinzubringen, dies haben sich Vater Mehmet, Mutter Nilgün und die beiden jungen Töchter Gamze und Defne vorgenommen. Wer glaubt, dass den 37-Jährigen und seine Familie dabei reine Gewinnerzielungsinteressen treiben, liegt völlig falsch.
"Zunächst einmal will ich der Stadt und der Gesellschaft, in der ich lebe, etwas geben", sagt Mehmet Varol. Der technische Angestellte, der seit langem in der SPD-Integrationsgruppe engagiert ist, glaubt fest an die soziale Bindekraft der Musik. "Die Jugendlichen müssen runter von der Straße", meint er, "und wer Musik liebt, kann nicht böse sein. Musik befreit die Seele. Das muss man doch fördern." Recht hat er!
"Musik ist eine Leidenschaft von mir", erklärt Mehmet Varol. "Auch meinen Kindern liegt sie im Blut. Ich achte bei der Erziehung sehr auf diese frühe Prägung. Es ist wichtig, dass Kinder mit Musik aufwachsen. So erhalten sie einen anderen Zugang zu den Dingen." Oft hat man ihm die zweifelnde Frage gestellt, ob klassische orientalische Musik in einer deutschen Stadt überhaupt angenommen wird. Mehmet Varol ist überzeugt davon. "Wieso denn nicht? Es mag jeder kommen, um sich zu überzeugen. Wenn man weiß um die Klänge, wird man die Saz immer dazu nehmen." Und als dann wenig später als Kostprobe ein kleines Konzert gegeben wird, gibt es unter den Anwesenden niemanden, der nicht seine Ansicht teilt. Nilgün Varol, die für den Verkauf/Verleih zuständig ist, wird bald mächtig zu tun bekommen, wenn sich der faszinierende Sound rumspricht.
"Porte Saz Evi" bietet alles rund um die traditionsreiche Schmalsteglaute: Unterricht, Verkauf/Verleih, Reparatur und Accessoires. Man ist offen für alle Nationalitäten, die Unterweisung wird je nach Gruppenzusammensetzung auf deutsch und türkisch erfolgen. Auch Privatunterricht ist möglich. Auf Wunsch (und wenn keine hohen Sprachbarrieren zu überwinden sind) wird mehr als bloß die Grundlage vermittelt. Um ein Gefühl für diese Art Musik zu bekommen, soll vor dem Unterricht Brauchtum und Geschichte nahegebracht werden. Insofern ist die Einweisung in die Kunst des Sazspiels auch ein Beitrag zur Völkerverständigung. Mehmet Varol und seine Angehörigen und Freunde entsprechen ohnehin so gar nicht dem dumpfen Klischeebild des dubiosen, verbohrten Muslims, das in den Medien viel zu oft transportiert wird.
Diese Weitsicht zeigt sich auch, als man auf den Punkt der Bezahlung zu sprechen kommt. Die birnenförmigen Saiteninstrumente sind schließlich nicht billig. Für eine Kindersaz liegt der Preis bei 150 bis 180 Euro, eine qualitativ durchschnittliche Saz für Erwachsene kostet ab 400 Euro aufwärts. "Ich will es so sozial wie möglich machen", bekundet Mehmet Varol. "Mir reicht es, wenn ich meine Nebenkosten zu decken vermag. Für die Kurse wird man Instrumente leihen können. Um etwa die Kinder auszustatten, haben wir erst einmal 20 Instrumente bestellt." Unterstützung sind bei so einem anspruchsvollen Projekt natürlich willkommen. Mit Rainer Weichelt, dem 1. Beigeordneten der Stadt Gladbeck, hat man jedenfalls bereits einen starken Fürsprecher gefunden. Auch der Zweckeler Kreistagsabgeordnete Jürgen Linau-Seifer und Ratsherr Mehmet Metin sind Feuer und Flamme.
Und wie viele Interessenten gibt es bereits für eine Kursteilnahme? "Oh, es läuft gut an", schmunzelt Mehmet Varol. "Bislang sind es 25 Anmeldungen." Sorgen, dass der Ansturm nicht so bewältigen sein wird, macht sich der Musikliebhaber nicht, der seit 1997 Saz spielt. "Wir kooperieren ja mit den örtlichen Musikschulen. Zur Not werden die auch mal hinzugezogen."
Bei allem Andrang, die einzelnen Lerngruppen werden nie mehr als fünf oder sechs Teilnehmer beinhalten. Individuelle Betreuung soll schließlich gewährleistet werden. Es soll in Gladbeck schätzungsweise bereits 300 bis 400 Saz-Spieler geben, sagen Kenner der Szene. Gut möglich, dass es bald noch wesentlich mehr werden – bei so viel Engagement.
Fotos: Julia Röken Medienkonzepte & Porte Saz Evi Permalink